Warum Journalismus und Werbung keine Gegner sind

Ein Plädoyer für einen pragmatischen Umgang mit dem nur scheinbaren Widerspruch zwischen journalistischen und werblichen Interessen in einem Medienunternehmen.

 

Auf der Internetseite www.medium.com, nach eigenen Angaben eine Seite für „quality, original ideas, clean reading & experience, engagement & depth, viewpoints“, war diese Woche ein lesenwerter Beitrag von Frederik Fischer zu neuen Medienprojekten zu finden (zum Beitrag hier):

Interessant fand ich in diesem Beitrag, welche Auswahlkriterien zur Bewertung der Bedeutung von Medien-Startups herangezogen wurden, insbesondere aber fiel mir folgender Absatz auf:

Medienplattformen, die sich vornehmlich über Werbung finanzieren, sind daher in den Augen des Autors keine Erwähnung wert.

 

Warum dieses Detail unter Umständen interessant sein könnte? Ich finde, es beschreibt zugespitzt gut den fundamentalen Irrtum, dem viele Journalistinnen und Journalisten unterliegen, nämlich dass Werbefinanzierung per se ein journalistisches Produkt entwerte.

 

Dabei ist es doch ganz einfach: Schon immer wurden journalistische Produkte zum Teil über Werbung finanziert. Man denke nur an die umfangreichen Immobilien- und Karriere-Teile aller Qualitäts-Tagesmedien, die bis zur Digitalisierung den in den vorderen Büchern stattfindenden qualitätsvollen Journalismus gestützt haben. 

 

Dennoch hat sich in vielen Redaktionsgehirnen die Meinung manifestiert, der wirtschaftliche Erfolg von Medienprodukten habe einzig und alleine mit den redaktionellen Erzeugnissen zu tun. Das führte soweit (und ist angeblich in so manchen traditionellen Medienhäusern noch immer so), dass Redakteurinnen und Redakteure auf andere Unternehmensbereiche tendenziell herabschauten und sogar einen eigenen Begriff kreierten, den „Verlag“, der im Gegensatz zur „Redaktion“ ja auch - pfui - kommerzielle Interessen verfolge.

 

Ein Medienunternehmen besteht aus meiner Sicht aus mehreren, gleich wichtigen Bereichen, wovon die Redaktion auch einer ist. Allerdings hat das Top-Management des Medienunternehmens im Bereich der Redaktion eine besondere Verpflichtung, nämlich die journalistische Unabhängigkeit im Kern zu schützen, und das sowohl gegen Interventionen aus der Politik, von sonstigen Stakeholdern genauso wie gegen Begehrlichkeiten von Werbekunden. Dies erfolgt bei logischer Denke ohnehin aus dem Gesamtinteresse des Medienunternehmens heraus, weil die journalistische Unabhängigkeit ein Kernversprechen des Produkts ist und daher nicht ausgehöhlt werden darf. Eine strenge Trennung von journalistischen und werblichen Inhalten ist durch eine konsequente Kennzeichnung möglich und schafft den Konsumentinnen und Konsumenten die Option, selbst die Auswirkungen der Entstehungsgeschichte der Inhalte zu bewerten.

 

Was ich nicht verstehe ist, warum der Schutz des journalistischen Kerns und eine offensive Vermarktung an Werbekunden, die dieses qualitative Umfeld für ihre Werbung nutzen wollen, nicht möglich sein soll. Ich behaupte nämlich, dass das schon möglich ist, wenn die Unternehmensführung den richtigen Umgang mit den erwähnten Interventionen findet und die Trennung der werblichen von den redaktionellen Inhalten sauber erfolgt.

 

Besonders absurd wird es, wenn die Finanzierung durch „Mäzene“ offensichtlich als erstrebenswerter als durch Werbung erachtet wird. Ich beurteile diese Abhängigkeit von einzelnen Personen weitaus kritischer als eine auf möglichst viele Werbekunden gleichmäßig verteilte Abhängigkeit, die bei einer nicht erfolgreichen Intervention im besten Fall dazu führt, dass ein Werbekunde abspringt, aber immer noch genug andere Interesse an Werbung im Produkt haben.

 

Insgesamt täte der gesamten Medienbranche in Zeiten wie diesen ein pragmatischer und unaufgeregter Umgang mit der journalistischen Unabhängigkeit und den werblichen Interessen von zahlenden Kunden gut. Eine Polarisierung hilft hier wirklich niemanden und geht am eigentlichen Thema vorbei.

 

(P.S. Dass der Autor ein eigenes Verständnis von journalistischer Qualität und Transparenz hat, ist ironischerweise unter seinem Artikel ersichtlich): 

Update: Nachdem ich den Blog auf Twitter gepostet habe hat sich Autor Frederik Fischer zu Wort gemeldet und vor allem mein P.S. kritisch kommentiert. Daraus hat sich ein lesenswerter Diskurs entwickelt (nachzulesen hier).